Presse

Helga Gerdts
Landschaften und Stillleben einer Malerin aus Stolpmünde

Es war nicht ihr erster Besuch in der alten Heimat nach Ende des 2. Weltkrieges, aber ein Besuch ganz besonderer Art, als Helga Gerdts am 15. Juli 2000 mit Mitgliedern ihrer Familie an der Eröffnung einer ihrem Werk gewidmeten Ausstellung im Muzeum Ziemi Usteckiej/Museum der Stolpmünder Lande teilnahm. Schon viel früher,1955, ist sie als eine der wenigen Deutschen, denen damals eine solche Reise möglich war, in Stolpmünde und Stolp, in Danzig und Zoppot, gewesen, nicht ohne Schwierigkeiten und viel bestaunt wegen des westlichen Sportwagens mit dem sie wie ihr Begleiter als Messeteilnehmer aus Posen kommend, unterwegs waren. Fotos ihres Elternhauses in Stolpmünde heimlich aufgenommen, zuvor des zwar von Trümmern befreiten, aber noch nicht wieder bebauten Zentrums von Stolp, haben heute dokumentarischen Wert. Im „Stolper Heimatblatt“ hat Helga Gerdts 1956 anschaulich über die abenteuerliche Reise berichtet, auf der sie wiederholt von der Miliz verhört wurden, so nach einem Bad in der heimatlichen Ostsee, da ihr unbekannt gewesen war, dass der Strand zum Teil zum Sperrgebiet gehörte. Seit den 70er Jahren, als das Reisen nach Ostpommern schon weniger schwieriger war, hat sie Stolpmünde mehrfach besucht.

Als Tochter von Johanna Gross, geb. Schlemmer und Dr. med. Paul Gross, praktischer Arzt in Stolpmünde, am 12. Oktober 1926 geboren, wuchs Helga Gross mit drei jüngeren Geschwistern in einem kunstliebenden Elternhaus auf. Der Vater spielte vorzüglich Klavier, wobei er Bach bevorzugte. „So kam es, dass ich mit den Goldberg Variationen und dem Wohltemperierten Klavier im Ohr aufwuchs“, schreibt Helga Gerdts, die, nachdem sie bereits mit acht Jahren Klavierunterricht erhalten hatte, manchmal mit dem Vater vierhändig spielen durfte. Sie durfte auch die „Matthäuspassion“ in der Stolper Marienkirche als Zwölfjährige mit den Eltern besuchen und eine Aufführung von Richard Wagners „Siegfried“ in der Waldoper in Zoppot miterleben, große Ereignisse für die Heranwachsende.

Kommt Helga Gerdts‘ musikalisches Talent von väterlicher Seite, so die malerische Begabung aus der Familie der Mutter, deren Vater, Maler und Musterzeichner in Hamburg, in Künstlerkreisen verkehrte, u. a. mit Alfred Lichtwark (1852-1914), dem langjährigen Leiter der Hamburger Kunsthalle, Begründer der Museumspädagogik und Wegbereiter moderner Kunsterziehung, Ernst Barlach (1870-1938), Bildhauer, Zeichner und Schrifsteller, Julius Wohlers (1867-1953), Mitbegründer des „Hamburgischen Künstlerklubs von 1897“ und Professor an der Landeskunstschule in Hamburg Zweiundzwanzig Bilder dieses Malers, darunter Porträts von Großmutter, Vater und Mutter, hingen im Elternhaus in Stolpmünde und konnten zum Teil über das Kriegsende hinaus gerettet werden. 1932 war Familie Gross aus der Mittelstraße in ihr neues Haus Stolper Straße 1, heute ul. Marynarki Polkskiej 83, in Nähe der Kirche gezogen, nicht weit entfernt vom Ort des 2000 entstandenen Museums.

Nicht nur das Interesse an Musik, auch an Malkunst war früh in ihr wach. So drängte sie die Mutter, mit ihr den Porträt- und Landschaftsmaler Wilhelm Granzow zu besuchen. Granzow, geboren 1885 in Pamplin bei Dünnow, gestorben zu Kriegsende 1945 in Stolpmünde, der sich lange in Italien, dann in Paris aufgehalten hatte, lebte und arbeitete seit Ende des I. Weltkrieges in Stolpmünde und hatte 1922 das auch nach dem Krieg beibehaltene, 2006 leicht veränderte, Wappen mit einer Meerjungfrau für Stolpmünde entworfen. Lebhaft erinnert sich Helga Gerdts auch an einen Besuch als Fünfzehnjährige bei Margarete Neuss-Stubbe (1895-1978), die sich in Wittstock am Südufer des Garder Sees ein Haus gebaut hatte und hier, auch sie eine Doppelbegabung, das Leben eines Bohemien führend, ungestört ihrer Kunst mit Malen und Klavierspiel nachging. „Dort war ich ganz begeistert und änderte meine damaligen Berufswünsche von Zirkusreiterin oder Afrikaforscherin nunmehr in Malerin und Pianistin in einem einsamen Haus am See“. Auch von Max Pechstein (1881-1955) und Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976), die in Leba und Rowe malten, hatte sie gehört, da die Dörfer zum ärztlichen Bereich des Vaters gehörten. Nach Klucken, das der Vater ebenfalls als Landarzt versorgte, hat sie ihn einmal begleitet, auch Familienausflüge zur Lontzkedüne führten über Klucken.

In der „Villa Ria Wella“ des verstorbenen Stolpmünder Reeders Johann Friedrich Koepke, Kunstliebhaber und Mäzen, sah Helga Gerdts zum ersten mal abstrakt gemalte Bilder, „Die Zwitschermaschine“ (1922), „Der lenkbare Grossvater“ (1930) und „Aufstand der Viadukte“ (1937), Bilder des berühmten, damals von offizieller Seite schon verfemten, Malers Paul Klee (1879-1940). Wenn sie im Rückblick schreibt „Die Intelligenz der Bilder beeindruckte mich und die Möglichkeit, etwas in dieser Art auszudrücken“, spricht das von einer erstaunlichen Wachheit für Kunst der damals erst Vierzehnjährigen.

Helga Gerdts wechselte nach Besuch der Grundschule in Stolpmünde zur Staatlichen Lessingschule, Oberschule für Mädchen, in Stolp. „Natürlich war Zeichnen mein Lieblingsfach.“ Acht Jahre lang war sie wie viele Schüler von auswärts damit sogenannte „Fahrschülerin“. Nachdem die Mädchen der Oberprima im Spätsommer 1944 mit Notabitur vorzeitig entlassen worden waren, kam die Klasse beim Bau des sogenannten Pommernwalls in der Nähe von Krangen zum Einsatz, private Fotos, seltene Dokumente, zeigen Helga Gerdts mit Klassenkameradinnen. Der Panzergraben von 5-6m Tiefe, an dessen Bau sich vor allem Frauen und Mädchen, u.a. Schülerinnen aus Stolp, Köslin, Schlawe und Belgard beteiligen mussten, erstreckte sich von der Gegend um Rügenwalde bis in die Gegend von Pollnow. „Nun kam erstmal in künstlerischer Hinsicht das „Nichts“… außer dass ich mit einem Küchenmesser meinen ganzen Kummer in ein kleines Holzreh schnitzte.“ Vom „Schippen“ wie man damals sagte, kam Helga Gerdts zum „Reichsarbeitsdienst“ im Lager Schmirtenau bei Krojanke, von dort, als die Front näher rückte, Ende Januar 1945 nach Torgau zum „Kriegshilfsdienst“ in einer Munitionsfabrik. Kurz ehe es hier an der Elbe zu dem berühmten Treffen sowjetischer und amerikanischer Truppen kam, hieß es Ende April: „Geht nach Hause.“ Ein Zuhause gab es für Helga Gerdts nicht mehr und, ohne Stolpmünde wiedergesehen zu haben, fand sie Mutter und Geschwister schließlich in einem kleinen Dorf nahe der dänischen Grenze. Der Vater, bei Kriegsausbruch 1939 als Stabsarzt eingezogen, geriet auf der Halbinsel Hela in sowjetische Gefangenschaft, kehrte erst 1948 zurück und war später wieder als Landarzt in Schleswig-Holstein tätig.

Es gibt eine anrührende Geschichte aus jenen Tagen, von der Helga Gerdts erzählt. Ein großer Teppich, sogenannter Perser, der dank der Voraussicht der Mutter noch rechtzeitig den Weg von Stolpmünde zur Großmutter nach Hamburg gefunden und die Bombenangriffe überstanden hatte, sollte der nach der Flucht mittellosen Familie zu Geld verhelfen. Als nun aber der Teppich, vor einem Auktionator ausgebreitet wurde, „…rieselte eine Menge Stolpmünder Seesand heraus. Darauf waren wir nicht vorbereitet, noch weniger gefasst. Da flossen unsere Tränen, und als der Teppich fortgetragen wurde, lief eine feine, weiße, zarte Spur von Stolpmünde über den Boden.“

Durch Arbeit auf dem Bauernhof musste zunächst für das Lebensnotwendigste gesorgt werden. Eine Ausbildung im künstlerischen Bereich, war in dieser Situation nicht realisierbar. So absolvierte Helga Gerdts von 1946 bis 1948 in Angeln eine ländliche Hauswirtschaftslehre, sodann eine Frauenfachschule mit Abschluss als staatliche geprüfte Hauswirtschaftsleiterin. Wenig motiviert, diesen Beruf auszuüben, dachte sie an ein Medizinstudium, erfuhr aber, dass das Notabitur nicht anerkannt wurde, zudem alle Studienplätze auf Jahre hinaus besetzt waren. Kunsterzieherin zu werden schien ein erstrebenswertes Ziel, sie bewarb sich 1950 um Aufnahme an der Landeskunstschule in Hamburg am Lerchenfeld, der späteren Hochschule für bildende Künste, wurde angenommen und erhielt ein Stipendium für die ersten drei Semester. Sie studierte bei Professor Karl Kaschak, der die Studenten in die Kunst des Zeichnens einführte. „Gemalt wurde nicht. Wer konnte sich schon Farben und Leinwände leisten.“ In der Landeskunstschule lernte sie u.a. Horst Janssen (1929-1995) kennen, der als genialer Zeichner schon bald internationale Berühmtheit erreichte.

Für die Semesterferien hatte sich Helga Gerdts einen Job in den Phoenix-Reifenwerken in Harburg beschaffen können. Gleichwohl fehlte nach Auslaufen des Stipendiums an Mitteln, um das Studium fortsetzen zu können. An der Landeskunstschule hatte sie im Nebenfach „Handarbeit” belegt, das half ihr jetzt bei der Stellensuche. Sie wurde in Kiel als Redaktions-Assistentin bei der Handarbeitszeitschrift „Elsa” eingestellt und erhielt anderthalb Jahre später den Posten der verantwortliche Redakteurin der Mode- und Frauenzeitschrift „Eva“.

Ihr Ziel, „Ich werde malen“, verlor sie jedoch nie aus den Augen. In Kiel hatte sie neben dem Beruf abendliche Kurse im Aktzeichnen besucht und bei einem Bildhauer modelliert. Nach ihrer Heirat, 1956, verbunden mit dem Umzug nach Worpswede, setzte sie, soweit die sich vergrößernde Familie mit drei Kindern ihr dafür Zeit ließ, den Besuch von Abendkursen fort. Worpswede, weltweit bekannt durch seine 1889 gegründete Malerkolonie, zu der u.a. Fritz Mackensen (1866-1953), Otto Modersohn (1865-1943) und Paula Moderson-Becker (1876-1907) gehörten, seitdem als Künstlerzentrum fortbestehend, war Helga Gerdts aus den Schilderungen ihrer Eltern schon in der Jugend ein Begriff gewesen. Sie lebte nun zwar in einem Künstlerdorf, „…doch damals blieb es nur beim Schauen.” An Malen war noch lange Jahre nicht zu denken.

Helga Gerdts stand schon in mittleren Jahren, als die Zeit dafür gekommen war. Zunächst belegte sie Sommerkurse an der Universität Bremen, wurde dann in die Malklasse von Prof. Jost Funke aufgenommen und besuchte seine Vorlesungen. Nun endlich begann sie zu malen, “… obwohl es nicht einfach ist, in einem Künstlerdorf zu dilettieren.”

Sie nennt die großen Impressionisten Claude Monet (1840-1926), Edouard Vuillard (1868-1914), Franz Marc (1880-1916), Karl-Schmidt-Rottluff (1884-1976) und den Worpsweder Maler Udo Peters (1884-1964) als ihre Lieblingsmaler.

Helga Gerdts malt impressionistisch mit deutlich expressionistischen Zügen. Aus ihren Bildern spricht besondere Sensibilität in der Behandlung von Licht, Licht gibt ihren Bildern Leben, dem Stofflichen Gestalt, den Farben Intensität, der Darstellung Stimmung und Atmosphäre. Das Winterbild „Lange Schatten”, „Kiefernwald bei Fleeth” in der Abendsonne, und „Der letzte Apfel“ , „Die Bauernreihe“ sind dafür nur Beispiele.

Da sie seit Jahrzehnten in Worpswede lebt, überwiegen in ihren Landschaftsbildern Motive aus der näheren Umgebung, aus Bremen und Hamburg. Bilder der Ostseeküste kommen erst später hinzu. Daneben nimmt auch Stillleben einen größeren Raum ihres malerischen Werkes ein wie „Kirschzweige im Glas”, „Teekanne mit Äpfeln“, „Drei Tulpen im Topf“, ein reizendes Interieur: „Das rote Sofa“. Porträt- und Tierskizzen zeigen Helga Gerdts‘ ausgezeichnetes Können auch auf diesem Gebiet. Viele der Tierskizzen entstanden auf ihren Reisen nach Afrika in den 80er Jahren, u.a. nach Kenia, Namibia und Botswana, Reisen, mit denen sie sich einen weiteren Jugendtraum erfüllen konnte. Aus der Situation heraus sind Gazellen, Gnus, Zebras und andere Wildtiere in gekonnten Skizzen festgehalten.

Der ersten Ausstellung, 1990 in Lilienthal, folgten in den 90er Jahren rasch weitere, darunter Einzelausstellungen in Worpswede und in Glückstadt sowie Gemeinschaftsausstellungen im Rahmen des Pommerschen Künstlerbundes, dem sie 1983 beigetreten war, in Travemünde, Greifswald, Putbus. 2002, schließlich, gab es eine Einzelausstellung in Traben-Trabach.

Einen besonderen Höhepunkt, sie selbst nannte es „Krönung meiner Arbeit”, jedoch bedeutete der Malerin die schon anfangs genannte Ausstellung im Juli und August 2000 in ihre Heimatstadt Stolpmünde, die erste Ausstellung des gerade fertiggestellten Muzeum Ziemi Usteckiej/Museum der Stolpmünder Lande in einem neu erbauten Fachwerkhaus, an der auch Vertreter der Öffentlichkeit teilnahmen. Mit etwa vierzig Ölbildern, Landschaft, Stillleben und Interieur, Porträt- und Tierskizzen bot die Ausstellung den Besuchern aus Ustka und Słupsk eine erste Gelegenheit, das Werk der hier geborenen Künstlerin kennenzulernen.

Mit der Ausstellung im Museum des Slowinzischen Dorfes in Kluki kommt es nach elf Jahren nun zum zweiten mal zu einer Ausstellung der Künstlerin in ihrer Heimat. Bilder wie „Worpsweder Teufelsmoor“, “Septembertage im Moor“, “Moorfluß bei Worpswede“, „Die Beek” „Winter am Moorgraben“ mit ihrem überwiegend schwermütigen Charakter locken zum Vergleich mit der atmosphärisch ganz anders gearteten Landschaft um Kluki, wo wie in Worpswede, das Torstechen zum Alltag der Menschen gehörte. An die harte Arbeit im Moor wird in Kluki alljährlich mit der „Schwarzen Hochzeit” im Rahmen eines bunten Volksfestes erinnert, beginnend stets wie die Ausstellung Helga Gerdts in diesem Jahr am 1. Mai.

Bedingt durch die politischen Verhältnisse kam Helga Gerdts erst relativ spät dazu, Motive in Stolpmünde und an der Ostsee zu malen. Nimmt der Anteil dieser Bilder dementsprechend in ihrem Werk zahlenmäßig nur einen relativ kleinen Raum ein, haben sie gleichwohl hohen Stellenwert. Die küstennahe Landschaft mit ihrem ganz besonderen, mitunter in Minutenschnelle wechselnden Licht, das viele große Maler wie Max Pechstein, und Karl Schmidt-Rottluff als einzigartiges Phänomen begeisterte und inspirierte, ist von Helga Gerdts schon in der Kindheit mit wachen Sinnen wahrgenommen worden.”Dieses irisierende Licht“, wie sie es wiederholt genannt hat, fasziniert sie auch als Malerin. In der Weise wie in „Strand von Stolpmünde mit Mole“ oder „ Stolpmünder Mole“ die Küstenlandschaft mit ihrer unverwechselbarer Atmosphäre eingefangen ist, spürt man, dass hier eine Künstlerin am Werk ist, die mit der heimatlichen Landschaft aufs innigste vertraut ist. In die Reihe dieser Bilder gehören „Stolpmünder Promenade im Winter“, „Rowe” und „Wasserstraße in Stolpmünde“, das Bild mit Blick zur Mittelstraße und dem Haus mit dem kleinen Türmchen, in dem Helga Groß geboren wurde.

Die Reihe der Ausstellungen deutscher Maler, die hierzulande gelebt oder gearbeitet haben im Museum des Slowinzischen Dorfes in Kluki, hätte nicht besser fortgesetzt werden können wie mit den stimmungsvollen Bildern von Helga Gerdts aus ihrer alten und neuen Heimat.

Rinder an der Oste 2

Isabel Sellheim
„Helga Gerdts, Malarstwo/Malerei“,
Ausstellungskatalog Kluki, 2011

  • Barnowski, Marcin, Unikalne zdjęcia wojenne uczennic z Lessingschule. w: Głos Pomorza. 5 listopada 2010
  • Gerdts, Helga, Die Fahrt durch Pommern. Maschinenschriftlich 1955
  • Gerdts,Helga, Wiedersehen mit Stolpmünde. In: Stolper Heimatblatt. Jg. 13. Nr. 7. Lübeck 1956.
  • Gerdts, Helga, Handschriftlicher Lebenslauf.1998
  • Gerdts, Helga, Stolpmünder Sand. In: Vereinigung Staatliche Lessingschule Stolp. Rundbrief 63. Herbst 2000
  • Gerdts, Helga, Anregungen zu den Künsten in meinem Elternhaus. In: Stolper Heft.2005
  • Schünemann, Fritz, Der Pommernwall. In: Manfred Vollack, Der Kreis Schlawe. Bd. I. Husum 1986
  • Sellheim, Isabel, Eine Worpsweder Malerin aus Stolpmünde. In: Pommern. H.4. Lübeck 1998
  • Sellheim, Isabel, Ausstellung Helga Gerdts in Stolpmünde. In: Vereinigung Staatliche Lessingschule Stolp. Rundbrief 63. Herbst 2000
  • Sellheim, Isabel und Violetta Tkacz-Laskowska, Margarete Neuss-Stubbe, Malarka znad Jeziora Gardno. Malerin am Garder See. Katalog der Ausstellung. Kluki 2004

Ausstellung Helga Gerdts
Museum Stolpmünde/Ustka

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst ein persönliches Wort. Obgleich Helga Gerdts und ich in jungen Jahren die gleiche Schule in Stolp besucht haben, sind wir uns erst vor wenigen Jahren begegnet. Damals sah ich auch ihre Bilder, die mich begeisterten, und es wurde die Idee „geboren“, ob sich eine Ausstellung in Helga Gerdts Heimatstadt Stolpmünde realisieren ließe. Heute nun ist es so weit. Gezeigt werden Bilder einer Malerin, die in Stolpmünde geboren ist, hier ihre Kindheit und frühe Jugend verbrachte, deren Elternhaus in dieser Straße, wenige Meter von hier entfernt, stand und noch steht - das sind Umstände, die nicht ganz alltäglich sind - weder für Stolpmünde, noch für Helga Gerdts.

Gestatten Sie einen kleinen Rückblick. Wie heute, so hat schon immer die Schönheit der Landschaft an der Ostsee zwischen Stolpmünde und Leba Maler angezogen. Das waren Maler von Weltrang wie Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, die regelmäßig und oft für lange Zeit kamen (Max Pechstein hat auch die ersten Jahre nach dem Krieg in Leba gelebt, wovon seine Madonna in der dortigen Kirche Zeugnis ablegt), das waren aber auch ansässige Maler von beachtlichem Können. Aus der Reihe der Namen nenne ich Wilhelm Granzow (1885-1945), der in einem alten Fachwerkhausam Stolpmünder Hafen seiner Kunst lebte und Margarete Neuss-Stubbe (1895-1978) in ihrem Haus am Gardersee - beide Maler hat Helga Gerdts noch persönlich gekannt. Da waren Willi Hardt (1879-1933), Hans Winter (1891-1950) und Rudolf Hardow (1881-1946) und schließlich Otto Priebe (1886-1945), der mit der Vielfalt seiner Themen und der Meisterschaft, sie als Maler umzusetzen, an die erste Stelle zu setzen wäre. Ihm hat das Museum Pomorza Srodkowego in Stolp in deutsch-polnischer Zusammenarbeit 1996 eine große Ausstellung gewidmet mit Folgeausstellungen in Bonn und Kiel 1997.

Damit zurück zu Helga Gerdts, die im Künstlerdorf Worpswede nahe Bremen lebt und malt und ihre Motive vorwiegend der Landschaft um Worpswede entnimmt, mit der Frage, ob frühe Eindrücke aus Kinder- und Jugendzeit an der Ostsee in ihren Bildern wiederzufinden sind? Keine abwegige Frage, wie ich meine; frühe Eindrücke prägen den Menschen für das ganze Leben - ganz besonders atmosphärische Eindrücke und für diese wiederum in besonderem Maße und in besonderer Weise sensible Menschen. Diese atmosphärischen Eindrücke meine ich. Das Fluidum der Ostpommerschen Küstenlandschaft mit seinem "irisierenden Licht" - Helga Gerdts spricht mit Entzücken von diesem Licht- dieses besondere Licht, das im Zusammenspiel von Wasser und Sonne ein Farbenmeer von unglaublicher Schönheit zaubert, dieses Licht hat Helga Gerdts mit wachen Sinnen in sich aufgenommen.

Jahre, Jahrzehnte gingen darüber hin. Allen Widrigkeiten, die Kriegs- und Nachkriegszeit mit sich brachten, alle Umwege, die ihr Lebensweg nahm, zum Trotz: Helga Gerdts, der die künstlerische Begabung "in die Wiege gelegt war" - ein Erbteil des Großvaters - hat immer gewußt: "eines Tages werde ich malen". In Worpswede, ihrer zweiten Heimat, konnte sie damit beginnen.

Betrachten wir die Bilder: es sind Bilder, die vom Licht her leben, ihm gibt das Stoffliche Gestalt, ihm Farbe, ihm Atmosphäre, sei es der Blick in einen sommerlichen, sonnendurchfluteten Garten, sei es auf kahle, schneebedeckte Bäume im bläulich-kalten Winterlicht, seien es Szenen im Hamburger Hafen, Stilleben oder Interieur.

Helga Gerdts beherrscht das Phänomen souverän. Daß es so ist, und damit die Antwort auf meine Frage, davon bin ich überzeugt, hängt mit dem "Erlebnis" Licht an der Ostsee in jungen Jahren zusammen, und, so gesehen, steckt in jedem Bild Helga Gerdts noch heute ein Stück Stolpmünde!

Lessingschule Stolp, Rundbrief

Isabel Sellheim
Eröffnungsrede
Lessingschule Stolp, Rundbrief 63
Stolp/Słupsk, 2000

Wie bereits in der Pommerschen Zeitung vom 20. Mai 2000 angekündigt, fand am 15. Juli die Eröffnung der Ausstellung Helga Gerdts im neuen Museum in der Stolper Straße / ul. Marynaki Polskiej in Stolpmünde statt.

Im Beisein von Helga Gerdts und ihrer Familie begrüßte Herr Jakula, der das u.a. von der deutsch-polnischen Stiftung mitfinanzierte Museum künstlerisch betreut, die Gäste, dabei auch Vertreter der Stadt Stolpmünde und ihrer kulturellen Einrichtungen, sowie viele polnische und deutsche Kunst-Interessierte. Nach einer Einführung in das Werk von Helga Gerdts, vorgenommen von Isabel Sellheim, sprach Herr Barz als Vertreter des Pommerschen Künstlerbundes ein Grußwort. Strahlender Sonnenschein gab der festlichen Veranstaltungen den passenden Rahmen.

Vierzig Ölbilder - Landschaften, Stilleben, Interieur - sowie Skizzen bilden einen gelungenen Querschnitt durch Helga Gerdts' Werk. Fenster zu drei Seiten des kleinen Saales schaffen günstige Lichtverhätnisse und bringen die in impressionistischer Auffassung gemalten Bilder zu voller Wirkung. Viele Motive sind der Landschaft um Worpswede entnommen, wo Helga Gerdts seit langem lebt; hinzu kommen Bilder vom Hamburger Hafen, aus Mecklenburg, auch aus Stolpmünde. Die Malerin versteht sich meisterhaft auf die Behandlung des Lichts; dies zeigen nicht nur die stimmungsvollen Landschaftsbilder, sondern auch Interieur und Stilleben, darunter einige kleinformatige Blumenbilder. Hohes zeichnerisches Können beweisen die Skizzen.

Eine so in sich stimmige Ausstellung ist Anlaß zur Freude. Größer noch wird sie für alle Beteiligten dadurch, daß sie in Stolpmünde stattfindet, hier, wo Helga Gerdts als Tochter des Arztes Dr. Paul Gross geboren wurde und aufwuchs.

Von regem Besuch der Ausstellung ist zu hören. Wer in der nächsten Wochen ins nördliche Hinterpommern reist, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Bis zum 31. August ist dafür Zeit.

Lessingschule Stolp, Rundbrief

Isabel Sellheim
Lessingschule Stolp, Rundbrief 63
Stolp/Słupsk, 2000

Porträts und Skizzen
Helga Gerdts - eine Worpsweder Malerin aus Stolpmünde

„Eines Tages sah ich im Haus Ria Weller in Stolpmünde am Hafen Bilder von Paul Klee. Ich war 14 Jahre alt und war fasziniert“ - schreibt Helga Gerdts über ihre erste Begegnung mit abstrakter Kunst. Die erstaunliche Wachheit einer erst Vierzehnjährigen für Kunst, einer damals von offizieller Seite verfemten Kunst, wirft ein Licht auf den Weg, der ihr vorgezeichnet war. Als ältestes von vier Kindern des Dr. med. Paul Groß und seiner Frau Johanna, geb. Schlemmer, am 12. Oktober 1926 in Stolpmünde geboren, verdankte sie es beiden Eltern zugleich, daß sie schon früh mit Kunst in Berührung kam. Vom Vater - nebenbei ein Liebhaber von Dada - den seine ärztliche Tätigkeit auch in die Fischerdörfer der Umgebung führte, hörte sie von Karl Schmidt Rottluff und Max Pechstein, die an Garder- und Lebasee malten. Die Mutter erzählte vom Großvater, Musterzeichner - heute würde man Designer sagen - in Hamburg, in dessen Haus u.a. Alfred Lichtwark, erster Direktor der Hamburger Kunsthalle, bekannt als richtungsweisender Kunstpädagoge, und Julius Wohler, Maler und Professor an der Landeskunstschule, freundschaftlich verkehrten. Porträts der Großmutter, von Vater und Mutter, neben vielen anderen Bildern Wohlers hingen im Elternhaus und haben ihre Kindheit begleitet.

Das ferne Worpswede mit seiner Malerkolonie war ihr von klein auf ein Begriff, nicht ahnend, daß sie dort einmal eine zweite Heimat finden würde. Persönlich erinnert sie sich an Wilhelm Granzow (1885 -1945), der in Stolpmünde und an Margarete Neuß-Stubbe (1895 -1978), die am Gardersee lebte, zwei aus der Gruppe guter ostpommerscher Heimatmaler. Ihrem für Kunst empfänglichen Sinn hat es an Anregungen im Elternhaus nicht gefehlt, doch die künstlerische Begabung - Erbteil des Großvaters - war ihr in die Wiege gelegt.

Daß bis zur vollen Entfaltung Jahre dahingehen würden, lag, wie ein Blick auf den Lebenslauf zeigt, an den Zeitumständen. Der Grundschule in Stolpmünde folgte der Besuch der Staatlichen Lessingschule in Stolp. „Natürlich war Zeichnen mein Lieblingsfach.“

Die unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit wurde durch das nahende Kriegsende jäh abgebrochen. 1944 mit Notabitur aus der Oberprima entlassen, ging es zunächst zum Einsatz am Bau des Panzergrabens, der Pommern durchzog, dann zum Arbeitsdienst in der Nähe von Schneidemühl, schließlich - schon auf der Flucht und ohne Stolpmünde wiedergesehen zu haben - im Januar 1945 nach Torgau zum Kriegshilfsdienst in einer Munitionsfabrik, dort entlassen, kurz ehe Russen und Amerikaner an der Elbe zusammentrafen. Nachdem sie Mutter und Geschwister wiedergefunden hatte - der Vater war im Osten vermißt - lebte die Familie in Osterby, Kreis Niebüll nahe der dänischen Grenze von Wohlfahrtsunterstützung und Mithilfe auf einem Bauernhof.

An eine künstlerische Ausbildung war in diesen Notzeiten nicht zu denken, und: „Eigentlich wollte ich Medizin studieren wie alle Arztkinder.“ So begann sie 1946 eine ländliche Hauswirtschaftslehre, 1948 gefolgt vom Besuch einer Frauenfachschule, den sie bereits nach einem Jahr als staatl. geprüfte Hauswirtschaftsleiterin beenden konnte. „Eine Ausbildung, die nicht meinen Wünschen entsprach. Darum bewarb sie sich jetzt an der Landeskunstschule in Hamburg - heute Hochschule für bildende Künste - für die Ausbildung als Kunsterzieherin - damals noch Zeichenlehrerin genannt - und wurde angenommen. Mit einem Stipendium für die ersten Semester versehen, nahm sie am Unterricht im Zeichnen (Perspektive, Akt etc.) bei Prof. Kaschak teil. „Gemalt wurde nicht, wer konnte sich schon Farben und Leinwände leisten“. Es ist interessant, daß sie damals Horst Janssen, den genialen Zeichner, kennenlernte, zu dieser Zeit „Meisterschüler in der Alfred Mahlau Klasse, ein dünner, ungewöhnlicher und hochbegabter Junge“.

Im Nebenfach wählte sie Handarbeit, eine „Schmalspurausbildung“, ihr aber von Nutzen, wie sich zeigen sollte. Geld verdiente sie sich in den Semesterferien in den Phoenix-Reifenwerken in Hamburg Harburg, bis nach dem dritten Semester eine Gelbsucht diese Einnahmequelle versiegen ließ. Damit war ein weiteres Studium nicht mehr finanzierbar. So mußte sie sich nach einer festen Anstellung umsehen und fand sie als Redaktionsassistentin bei der Handarbeitszeitschrift „Elsa“ in Kiel, dann als verantwortliche Redakteurin der Frauenzeitschrift „Eva“, die der Verlag übernommen hatte.

Obwohl beruflich nun gebunden, nutzte sie freie Stunden, um Aktkurse zu besuchen und bei einem Bildhauer zu modellieren, denn bei allen Wendungen, die ihr Leben nahm, stand eins für sie fest: „Ich wußte, daß ich malen werde.“

1956 heiratete sie und zog nach Worpswede. „Nun war ich im Umkreis von Kunst“, doch zunächst „blieb es nur beim Schauen“. Eine große Familie, dazu Haus und Grundstück, Pferde und Hunde, beanspruchten auf Jahre ihre Zeit ganz.

Helga Gerdts stand schon im mittleren Lebensalter, als sie sich dann wirklich dem Malen zuwenden konnte. In einem Ort wie Worpswede kein leichter Beginn! Am Anfang waren es Sommerkurse, an denen sie teilnahm, dann wurde sie in die Malgruppe von Prof. Funke an der Universität Bremen aufgenommen und besuchte auch seine Vorlesungen. Wie ihre Bilder zeigen, fand sie binnen kurzem zu einem impressionistisch aufgefaßten Malstil.

Wenn die Rede auf Stolpmünde kommt, spricht Helga Gerdts mit Entzücken vom „irisierenden Licht“. Dies besondere Licht am Meer muß sie schon in der Kinder- und Jugendzeit sehr bewußt wahrgenommen und für das Phänomen Licht sensibilisiert haben. Licht gibt Farbe und Form ihrer Bilder intensives Leben. Der Blick in einen Sommergarten, durchflutet von flimmerndem Sonnenlicht - ein kahler Baumschlag vor Bauernhäusern im kalten, bläulichen Licht eines klaren Wintertages - das Optische und das Stoffliche sind einander stimmungshaft zugeordnet. Die Vierzehnjährige hatte an den Bildern von Paul Klee die „Intelligenz“ beeindruckt, „etwas in dieser Art auszudrücken.“ Helga Gerdts malt nicht abstrakt, doch das Wort, im Sinne einer überzeugenden malerischen Umsetzung der Bildidee, trifft auch auf sie zu. Helga Gerdts entnimmt ihre Motive vorwiegend Worpswede, malt aber auch auf Reisen, so in Stolpmünde, das sie schon in den 50er Jahren auf abenteuerliche Weise das erste Mal wiedersah. Ihr Themenkreis umfaßt Landschaft, Stilleben und Porträt.

Zugleich zeigen Skizzen und Studien, u.a. aus Namibia und Botswana, Länder, die sie wiederholt besucht hat, die ganz vorzügliche Zeichnerin. Den Augenblick nutzend, zuweilen aus dem Auto heraus, sind Tiere in Bewegung und Ausdruck mit raschem, sicherem Strich erfaßt. Es verwundert nicht, daß das kunstverständige Worpswede sehr bald auf Helga Gerdts aufmerksam wurde. 1989 und 1995 trat sie hier mit Einzelausstellungen hervor. In der Zwischenzeit gab es Ausstellungsbeteiligungen in Glückstadt, Travemünde, Stralsund, Greifswald und Putbus im Rahmen des Pommerschen Künstlerbundes dem Sie angehört. Wie aber, wenn ihre Bilder eines nicht zu fernen Tages in ,ihrer Heimatstadt Stolpmünde oder in Stolp gezeigt würden? Helga Gerdts hielte das für die „Krönung ihrer Arbeit, doch wäre eher wohl von einer besonderen Chance für Stolpmünde/Ustka oder Stolp/Slupsk zu sprechen: eine Worpsweder Malerin aus Stolpmünde mit ihrem Werk in Stolpmünde. Gespräche sind im Gange.

Rinder an der Oste 2

Isabel Sellheim
„Pommern, Kultur und Geschichte“
Heft 4, 1998